Autor:innen: Fellowgruppe „Transdisziplinäre Forschung und ihre wissenschaftlichen Auswirkungen“

Fellow Group Transdisciplinary Research and its Scientific Impact

Von links nach rechts: Evelyne de Leeuw, Guido Caniglia, Alfred Rütten, Oskar Marg, Lena Theiler, Richard Beecroft, Chantal Krumm, Jana Semrau, Alexandra Lux; Launch-Workshop beim ISOE, Februar 2024; Kreis: Jinhee Kim, Scientia academic am Cities Institute, UNSW, Australia (Credit: Jana Semrau)

Die transdisziplinäre Forschung (TF) hat in den letzten Jahren an Bedeutung gewonnen. Ein wichtiger Anreiz ist das wachsende politische Interesse an TF und ihr potenzieller Beitrag zu einem transformativen Wandel angesichts komplexer gesellschaftlicher Herausforderungen. Zu diesen Herausforderungen gehören auch die miteinander verbundenen Gesundheits- und Umweltprobleme in den Bereichen Nachhaltigkeitsforschung (NF) und Gesundheitsforschung (GF). Darüber hinaus strebt die TF als neuer Forschungsmodus sowohl gesellschaftliche als auch wissenschaftliche Wirkungen an. Während die gesellschaftlichen Wirkungen von TF in den letzten Jahren im Mittelpunkt des wissenschaftlichen Diskurses über TF standen, wurde den wissenschaftlichen Wirkungen von TF sowohl aus konzeptioneller als auch aus empirischer Sicht weniger Aufmerksamkeit geschenkt. Tiefere Einblicke in die wissenschaftlichen Wirkungen der TF sind nicht nur als Kernfrage in einem „selbstreflexiven“ Wissenschaftssystem wichtig, sondern auch für die zukünftige wissenschaftliche Entwicklung der TF.

In dieser Arbeitsgruppe haben wir daher eine erste Kartierung dieses Bereichs an der Schnittstelle zwischen NF und GF vorgeschlagen. Darüber hinaus wollten wir die Prozesse erforschen, die es ermöglichen, durch TF wissenschaftliche Wirkungen zu erzielen. Der folgende Blogbeitrag gibt einen Überblick über zentrale Ergebnisse der Fellowgruppe, zu denen a) eine bibliometrische Analyse, b) ein Workshop zum Nexus von NF und GF sowie c) ein Workshop am Institut für sozial-ökologische Forschung gehören.

Bibliometrische Analyse

Ziel der bibliometrischen Analyse mit Co-Zitationsanalyse war es, die Landschaft der TF zu kartieren und die wichtigsten Forschungsgemeinschaften zu identifizieren. Das zweite Ziel bestand darin, die Konzeptualisierungen und Forschungspraktiken der TF in den Forschungsbereichen Nachhaltigkeit und Gesundheit zu vergleichen.

Wir entwickelten eine Suche, um Publikationen über TF in der Datenbank Web of Science Core Collection zu recherchieren (Schritt 1). Der Suchbegriff basierte auf einer veröffentlichten Suchstrategie in der Nachhaltigkeitsforschung. Im nächsten Schritt führten wir eine bibliometrische Analyse mit einer Analyse der Ko-Zitationen innerhalb der Publikationen durch, um die zentralen Forschungsgemeinschaften im Modus der TF zu identifizieren (Schritt 2). Anschließend führten wir eine vertiefte Analyse der Ko-Zitationen von Dokumenten in den Forschungsgemeinschaften der NF und HF durch (Schritt 3).

Die Suche in der Datenbank Web of Science Core Collection ergab 40.880 Publikationen (Schritt 1). Die bibliometrische Analyse mit Co-Zitationsanalyse von Dokumenten ergab 96 Artikel in vier Clustern. Cluster 1 war das größte Cluster mit 34 Artikeln, gefolgt von Cluster 2 mit 25 Artikeln, Cluster 3 mit 20 Artikeln und Cluster 4 mit 17 Artikeln (Schritt 2). Die Suche in den Forschungsgemeinschaften von NF und HF ergab 13.529 Veröffentlichungen in vier Clustern sowie 10.330 Veröffentlichungen in vier Clustern (Schritt 3). Eine Analyse dieser Forschungsgemeinschaften wird derzeit für eine begutachtete Veröffentlichung erstellt.

Die bibliometrische Analyse mit der Analyse der Co-Zitationen von Dokumenten zeigt, dass die Zahl der Veröffentlichungen und Zitationen innerhalb des Modus der TF stark zunimmt. Die ersten Ergebnisse zeigen, dass TF hauptsächlich in den Bereichen Nachhaltigkeit, Gesundheit und soziale Innovation angewendet wird. Diese Cluster operieren primär isoliert in einem Modus des „epistemischen Elitismus“. 

Dies steht im Gegensatz zu der bestehenden Vielfalt an konzeptionellen Ansätzen an der Schnittstelle zwischen den Forschungsfeldern Nachhaltigkeit und Gesundheit. Darüber hinaus deuten die ersten Ergebnisse darauf hin, dass das volle Potenzial der TF zur Bewältigung komplexer, miteinander verbundener Gesundheits- und Nachhaltigkeitsherausforderungen noch nicht ausgeschöpft wurde.

Launch-Workshop zur Schnittstelle von Nachhaltigkeits- und Gesundheitsforschung

Mit diesem Workshop wollten wir kollaborative Ansätze an der Schnittstelle von NF und HF sowie deren wissenschaftliche Auswirkungen thematisieren. Am 21. Mai 2024 fand der Launch-Workshop mit den anderen Gruppenmitgliedern, einem Teilnehmer vom ISOE und zwei externen Teilnehmenden statt.

Der Workshop begann mit einer Vorstellung aller Teilnehmenden und einer kurzen Präsentation ihrer Erfahrungen und Arbeitsbereiche, die Bereiche wie urbane Gesundheit, Nachhaltigkeitsforschung, Gesundheitsförderungsforschung, Wissenschaftsphilosophie, Wissenschaftssoziologie, Geographie und Ingenieurwissenschaften umfassten. Im Rahmen des Workshops wurden in einer moderierten Diskussion verschiedene Fragen diskutiert, wie z.B. Welche Rolle spielen partizipative Ansätze und Koproduktion in der Wissenschaftsphilosophie in Untersuchungen über gesunde Umgebungen? Gibt es einen Unterschied in den angewendeten Methoden in NF und HF und was bedeutet dieser Unterschied? Was ist die Besonderheit der Methoden in TF und wie hängt dies mit dem transformativen Wandel zusammen? Welche Erfahrungen haben die Teilnehmenden gemacht und wie nehmen die Teilnehmenden die wissenschaftlichen Wirkungen Ihrer Forschung wahr, wenn Sie TF anwenden? Was sind erfolgreiche Strategien zur Veränderung des Wissenschaftssystems, um TF zu ermöglichen?

Die meisten Teilnehmenden waren an groß angelegten Projekten in Europa, Nordamerika und Australien mit einer Vielzahl unterschiedlicher Akteure aus Politik, Wissenschaft und Praxis beteiligt, die auf die Bewältigung komplexer Herausforderungen in der realen Welt abzielten. Diese Projekte reichten beispielsweise von der Gesundheit städtischer Ökosysteme und Zoonosen, einem Wandel hin zu nachhaltigeren Alltagspraktiken, einem Großprojekt zu Veränderung der Landnutzung, einer Wissensintegration von Konzepten zur Anpassung an Hitzewellen aus dem globalen Süden im europäischen Kontext, dem Aufbau eines ländlichen und städtischen Gesundheitsnetzwerks und der Lärmaktionsplanung in einer Stadt bis hin zur Umsetzung einer kommunalen bewegungsbezogenen Gesundheitsförderung in ländlichen und städtischen Kommunen mit dem Schwerpunkt auf gesundheitlicher Chancengleichheit.

Es wurden eine Vielzahl von Methoden und Verfahren angewandt, darunter partizipative Ansätze zum Aufbau von Netzwerken mit verschiedenen Akteuren, Citizen-Science-Ansätze, Real-World-Labs, der Ansatz der kooperativen Planung, historische erkenntnistheoretische Methoden bis hin zu Konzeptionellem Engineering und konzeptioneller Analyse. Darüber hinaus wurde die Rolle des Regierens in Bezug auf die Frage erörtert, wer was, warum, wann und wie tut und wer darüber entscheidet, sowie die Rolle von Verhandlungen und Anpassungen und das Finden einer gemeinsamen Sprache. Es wurde das Bild eines Dreiecks entwickelt, mit der Forschungsaufgabe, der Aufgabe realweltliche Veränderungen zu erzeugen, und der Aufgabe Lernprozesse zu fördern, wobei transdisziplinäre Methoden und eine transdisziplinäre Methodik in der Mitte platziert wurden. Es wurde zudem hervorgehoben, dass die drei Teile des Dreiecks in einer Methodologie der Forschung für und in Veränderungsprozessen zusammenhängen. Ein kritischer Punkt wurde in Bezug auf die „Toolifizierung“ von Methoden und Methodologien in der TF diskutiert, während gleichzeitig der Fokus auf Theorien und andere Dimensionen von TF weniger untersucht werden.

In Bezug auf die wissenschaftlichen Wirkungen wurde betont, dass der Schwerpunkt auf den Wirkungen von TF auf das Wissenschaftssystem liegt. Transdisziplinär Forschende könnten bewusster und strategischer vorgehen, um das akademische System so zu verändern, dass sich TF und transformative Forschung weiter etablieren können. In den bestehenden Systemen von Forschungsklassifizierung gibt es derzeit keinen Platz für TF. Anstatt die wissenschaftlichen Wirkungen von TF auf konservative Weise zu betrachten (z. B. indem wissenschaftliche Ergebnisse durch Publikationen in das bestehende Wissenschaftssystem reintegriert werden), könnten die transformativen Wirkungen, die TF auf das Wissenschaftssystem haben kann, stärker betrachtet werden. Statt zu fragen, wie sich TF auf das Wissenschaftssystem auswirkt, könnte analysiert werden, was sich im Wissenschaftssystem ändern müsste, damit TF gedeihen kann und dieser Unterschied muss konkret beschrieben werden.

Der Workshop beim ISOE

Ziel des Workshops am ISOE war es, die Ergebnisse der bibliometrischen Analyse zu reflektieren und die nächsten Schritte der Fellowgruppe zu diskutieren. Der Workshop umfasste neun Teilnehmende - fünf Fellows und vier Mitglieder des ISOE -, die sich mit der Schnittmenge von Gesundheit und Umwelt/Nachhaltigkeit, Gemeinsamkeiten und Unterschieden in den Methoden und der wissenschaftlichen Wirkung von TF befassten.

Sowohl Nachhaltigkeit als auch Gesundheit werden auf unterschiedliche Weise und durch eine Vielzahl von Denkschulen definiert. Public Health und Gesundheitsförderung sind für die Umwelt von entscheidender Bedeutung. Nachhaltigkeit ist ein Kernthema von Public Health. Es wurden mehrere Konzepte an der Schnittstelle von Gesundheit und Nachhaltigkeit diskutiert. Zum Beispiel die Konzepte der Komplexität und des Systems Thinking, das Konzept des Well-being und der Wohlfahrtsökonomie, One Planet Regions, Urban Health sowie indigene Gesundheit, Kosmologie und Religion. Darüber hinaus wurde die Rolle von Versicherungsunternehmen im Hinblick darauf erörtert, wie langfristiges Risikomanagement und ökonometrische Analysen künftige Herausforderungen im Bereich von Gesundheit und Nachhaltigkeit vorhersagen können. Alle diese Konzepte umfassen kontextspezifische Praktiken an der Schnittstelle von Gesundheit und Nachhaltigkeit. Die Praxistheorie wurde als ein möglicher theoretischer Ansatz für die Analyse der Schnittmenge von Gesundheit und Nachhaltigkeit diskutiert.

Im Hinblick auf wissenschaftliche Wirkungen von TF an der Schnittstelle von Gesundheit und Nachhaltigkeit muss definiert werden, worauf sich wissenschaftliche Wirkungen konkret beziehen - ob auf die Wissenschaft selbst, auf die Gesellschaft oder auf beide. Wissenschaftliche Forschung zielt darauf ab, neues Wissen zu schaffen. Dazu gehören sowohl theoretische Fortschritte als auch praktische Anwendungen, die sich sowohl auf wissenschaftliche Einrichtungen als auch auf die Gesellschaft auswirken. Es ist jedoch auch eine Herausforderung, wissenschaftliches Wissen zu identifizieren, und es wäre hilfreich, spezifische Fallstudien aus dem Bereich der TF an der Schnittstelle von Nachhaltigkeit und Gesundheit zu identifizieren, die wissenschaftliches Wissen hervorgebracht haben. Die Beziehung zwischen wissenschaftlichen Erkenntnissen und damit verbundenen Praktiken wurde hervorgehoben, und etablierte Praktiken können auch durch wissenschaftliche Erkenntnisse verändert werden. Ein besseres Verständnis der wissenschaftlichen Wirkungen von TF ist auch mit der Legitimierung transdisziplinärer Ansätze und einer breiteren Definition von wissenschaftlicher Exzellenz verbunden.

Basierend auf dem Austausch in der Fellowgruppe und unter Berücksichtigung von Erkenntnissen aus den Workshops haben wir ein konzeptuelles Rahmenmodell entwickelt, welches es ermöglich, den Impact von TF auf das Wissenssystem der Wissenschaft zu untersuchen. Das Manuskript befindet sich derzeit im Reviewprozess.

Die Definition der Grenzen zwischen GF und NF ist eine Herausforderung. Beide Bereiche sind eng miteinander verwoben und komplex, da sie verschiedene Ebenen von gesellschaftlichen und umweltbezogenen Faktoren einbeziehen. Die Diskussion schloss mit Überlegungen zu den sich überschneidenden Zielen von GF und NF, wobei die Notwendigkeit eines stärker integrierten Ansatzes zur Entwicklung von Lösungsoptionen und -ansätzen von komplexen gesellschaftlichen und umweltbezogenen Fragen anerkannt wurde.

Zusammenfassung/ Fazit

Wir möchten drei Erkenntnisse und Einsichten zusammenfassen, die wir als besonders bemerkenswert erachten.

  1. Wir fanden es interessant, dass der Modus der TF hauptsächlich in Forschungsgemeinschaften aus der Nachhaltigkeits-, der Gesundheitsforschung und der sozialen Innovation angewandt wird, und dass diese Forschungsgemeinschaften zwar nebeneinander existieren, aber nicht eng zusammenarbeiten, wie die ersten Ergebnisse der bibliometrischen Analyse zeigten. Weitere Ergebnisse der bibliometrischen Analyse werden uns helfen, dieses Phänomen besser zu verstehen.

  2. Interessanterweise haben wir in unserer Diskussion keine spezifischen Unterschiede zwischen dem Einsatz von partizipativen und kollaborativen Ansätzen in der GF und der NF identifiziert. In beiden Bereichen wurden komplexe reale Herausforderungen angegangen, eine Vielzahl von Akteuren einbezogen und unterschiedliche Methoden, einschließlich verschiedener partizipativer und kollaborativer Ansätze, verwendet, um alternative Lösungsansätze zu entwickeln und Veränderungen zu fördern. Dies bedeutet jedoch nicht, dass es keine Unterschiede gibt, und weitere Forschung in diesem Bereich würde unser Verständnis dafür verbessern, was für wen in welchem Kontext funktioniert und welche wissenschaftlichen Wirkungen damit einhergehen können.

  3. Mehr Forschung zu den transformativen Wirkungen, die TF auf das Wissenschaftssystem haben kann, könnte neue Wege der wissenschaftlichen Arbeit eröffnen, die wiederum das Wissenschaftssystem verändern können. Ein normativer Ansatz wäre aufschlussreich, bei dem wir definieren, was im Wissenschaftssystem benötigt wird, um TF zu ermöglichen. Für die Institutionalisierung der transdisziplinären und transformativen Wissenschaft im akademischen System kann die Analyse von Fällen, in denen TF bereits umgesetzt wird, wertvolle Erkenntnisse liefern.