Am 10. Juni 2022 veranstaltete das ISOE – Institut für sozial-ökologische Forschung im Rahmen der Themenlinie 2 einen halbtägigen Onlineworkshop, um über wissenschaftliche Wirkungen transdisziplinärer Forschung zu reflektieren. Das Format richtete sich an Wissenschaftler*innen, die transdisziplinär forschen oder sich für transdisziplinäre Forschung interessieren. Es nahmen über 40 Personen aus dem deutschsprachigen Raum teil, die in diversen Feldern wie Umweltsoziologie, Gesundheitsforschung oder Impact-Forschung verortet sind.
Ausgangspunkt der Veranstaltung war die Beobachtung, dass in den letzten Jahren viel über die gesellschaftlichen Wirkungen transdisziplinärer Forschung diskutiert und publiziert wurde. Der Mehrwert für die Wissenschaft wurde hingegen kaum betrachtet. In der Wissenschaftsforschung ist der Begriff der wissenschaftlichen Wirkung eng verbunden mit einer quantitativen Erfassung von festgelegten Indikatoren, zuallererst Zitationen von Publikationen (Impact). Gleichzeitig, so die Ausgangsthese des Workshops, bewirkt der transdisziplinäre Forschungsmodus auch Veränderungen hinsichtlich Forschungspraktiken (z.B. Methoden, Gestaltung von Forschungsprozessen), Forschungsgegenständen und Forschungsergebnissen. Mit dem Workshop wollte das ISOE das Thema der wissenschaftlichen Wirkungen in die Community der transdisziplinär Forschenden tragen und einen ersten Austausch darüber anregen. Dazu gab es zuerst Vorträge und anschließend Gelegenheit zum Austausch.
Drei Vorträge mit verschiedenen Perspektiven auf das Thema wissenschaftliche Wirkungen transdisziplinärer Forschung
Im ersten Teil der Veranstaltung spannten drei Inputs die unterschiedlichen Ebenen wissenschaftlicher Wirkungen auf.
Stephanie Jahn (Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) / Leuphana Universität Lüneburg) stellte in ihrem Input Modi transdisziplinärer Nachhaltigkeitsforschung im Spannungsfeld zwischen gesellschaftlichen und wissenschaftlichen Wirkungen vor. Grundlage war eine quantitative Auswertung von 59 inter- und transdisziplinären Projekten aus der Nachhaltigkeitsforschung. Mittels Clusteranalyse konnten fünf unterschiedliche Modi identifiziert werden, die sich durch die Intensität der Interaktion mit Praxisakteur*innen unterschied. Die wissenschaftlichen Wirkungen der Projekte wurden mit den gängigen Indikatoren mittels Output (entstandene Publikationen gewichtet, geteilt durch Fördersumme des Projekts) und Impact (Zitationen bis 5 Jahre nach Veröffentlichung geteilt durch Fördersumme) operationalisiert. Auch für die gesellschaftlichen Wirkungen wurden Indikatoren festgelegt. Die Analyse zeigte, dass mit steigender Intensität der Interaktionen mit Praxisakteuren die gesellschaftlichen Wirkungen stiegen, die wissenschaftlichen Wirkungen (Output und Impact) allerdings abnahmen. Eine Ausnahme bildete das Cluster 1 („rein akademische Forschung“), welches zwar keine Interaktion mit Praxisakteuren hatte, aber durch ihre Anwendungsorientierung trotzdem gesellschaftliche Wirkungen und einen hohen wissenschaftlichen Output und Impact erzielte. Jahn schloss mit der Feststellung, dass die im Sample untersuchten Projekte offenbar einen Trade-off zwischen wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Wirkungen eingehen mussten.
Im zweiten Input stellte Oskar Marg (ISOE – Institut für sozial-ökologische Forschung und tdAcademy) Erkenntnisse zur Frage vor, welche Auswirkungen transdisziplinäre Forschung auf wissenschaftliches Wissen und Reflexivität hat. Hierbei handelt es sich um die Ergebnisse einer laufenden Studie des ISOE im Rahmen der Themenline 2 der tdAcademy.
Datengrundlage waren qualitative Interviews mit 22 Professor*innen der Subdisziplinen Umweltsoziologie, Nachhaltige Chemie und partizipative Gesundheitsforschung, die selbst Erfahrung mit transdisziplinärer Forschung hatten.
Die Ergebnisse zeigen, dass transdisziplinäre Forschung die Perspektive auf untersuchte Probleme verändert: So weitet sich erstens der Problemgegenstand aus, wenn durch interdisziplinäre Integration oder Beiträge der Praxisakteure neue Teilaspekte eines Problemgegenstands aufgenommen werden. Die Problembeschreibung kann sogar grundsätzlich neu formuliert werden, wenn sich die Vorannahmen der wissenschaftlichen Akteur*innen als nicht zutreffend erweisen. Zweitens verändert transdisziplinäre Forschung die Qualität der wissenschaftlichen Ergebnisse: Transdisziplinäre Forschung zeichnet sich durch eine hohe Aktualität aus, da konkrete gesellschaftliche Probleme beforscht werden. Auch der Zugang und die Qualität von Daten verändern sich: Durch transdisziplinäre Kooperationen werden für die wissenschaftlichen Akteur*innen Wissensbestände zugänglich, die ohne eine enge, vertrauensvolle Zusammenarbeit nicht erfassbar wären. Zusätzlich können Praxisakteur*innen disziplinär erarbeitete Ergebnisse validieren. Drittens befördert transdisziplinäre Forschung die Reflexivität der wissenschaftlichen Partner*innen. So ist der Austausch mit unterschiedlichen Akteursgruppen, aber auch die Konfrontation mit unterschiedlichen Ansichten auf einer persönlichen Ebene bereichernd. Gleichzeitig erfordert die transdisziplinäre Zusammenarbeit eine Reflexion der eigenen disziplinären Perspektiven, Annahmen und Methoden. Die Zusammenarbeit mit fachfremden Projektpartner*innen kann dazu führen, dass disziplinäre Vorgehensweisen stärker expliziert und erklärt werden müssen.
Alfred Rütten (Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg) gab mit dem dritten Input einen Einblick in die kooperative Forschung der Gesundheitsforschung, insbesondere der Sportwissenschaft und Public-Health-Wissenschaften. Ziel der kooperativen Planung ist es, gemeinsam mit Bürger*innen, Entscheidungsträger*innen und Expert*innen Wissen zu erzeugen und dieses in die Umsetzung zu bringen. Damit hat der Ansatz der kooperativen Forschung große Überschneidungen mit transdisziplinärer Forschung.
Am Beispiel des Projekts BIG („Bewegung als Investition in Gesundheit“ und seinen Nachfolgeprojekten) zeigte Alfred Rütten, dass der kooperative Forschungsmodus auf verschiedene Weisen in die Wissenschaft wirkte. Einerseits ermöglichte der kooperative Forschungsmodus die Theorieentwicklung, die ohne die enge Zusammenarbeit mit Akteur*innen aus der Praxis nicht möglich gewesen wäre. Weiter war es für die wissenschaftlichen Partner*innen möglich, Wissensbestände in ihre Arbeiten zu integrieren, die ohne die kooperative Arbeitsweise nicht zugänglich gewesen wären. Und zuletzt werden aus der engen Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft, Bürger*innen und politischen Akteur*innen auch neue Arbeits- und Finanzierungsweisen für die Wissenschaft denkbar.
Austausch zu den Erfahrungen der Workshop-Teilnehmenden
Im zweiten Teil der Veranstaltung diskutierten die Teilnehmenden in drei parallelen Kleingruppen über ihre eigenen Erfahrungen und Perspektiven auf wissenschaftliche Wirkungen transdisziplinärer Forschung. Beobachtete Wirkungen waren beispielsweise eine Erweiterung des persönlichen Methodenrepertoires, Veränderungen der Lehre oder Folgeanträge. Mehrwerte transdisziplinärer Forschung wurden darin gesehen, dass auf diese Weise Bedürfnisse aus der Gesellschaft oder Praxis erkannt werden und Wissenschaft darauf reagieren kann oder dass wissenschaftliche Ergebnisse direkt im praktischen Test erprobt werden können. Als Herausforderung genannt wurde unter anderem der zeitliche Aufwand, um wissenschaftlich verwertbare Dokumentationen zu verfassen und diese in Publikationen auszuarbeiten, gerade auch vor dem Hintergrund des häufigen Projektcharakters transdisziplinärer Forschung.
Im letzten Teil der Veranstaltung sammelten die Teilnehmenden gemeinsam Ideen, wie der Mehrwert transdisziplinärer Forschung für die Wissenschaft gestärkt werden könnte. Die Vorschläge bewegten sich auf unterschiedlichen Ebenen. So wurde beispielsweise darauf verweisen, dass der Begriff wissenschaftliche Wirkungen genauer definiert (bzw. die aktuell sehr enge Begrenzung auf Zitationen ausgeweitet) und Operationalisierungen für Indikatoren erarbeitet werden müssen. Vielfach genannt wurde die Rolle von Fördermittelgebern, beispielsweise in Bezug auf die Finanzierung für Ressourcen für wissenschaftliche Ergebnisse oder auch in Bezug auf Gutachterverfahren, in denen ausreichend Expertise zu Transdisziplinarität vorhanden sein sollte, um die Qualität der vorgeschlagenen Projekte und den angestrebten wissenschaftlichen Mehrwert zu bewerten. Auch die gegenwärtigen akademischen Strukturen wurden adressiert, die mit der stark disziplinären Orientierung von Lehrstühlen transdisziplinäres Arbeiten momentan eher erschweren. Es wurde jedoch auch auf positive Beispiele wie die Berlin Alliance hingewiesen, wo innerhalb des Exzellenznetzwerks transdisziplinäre Forschung zentral verankert wird. Solche Initiativen könnten auf die weitere akademische Landschaft ausstrahlen. Nicht zuletzt wurde darauf hingewiesen, dass der Austausch zwischen transdisziplinär Forschenden untereinander sowie geeignete Publikationsorte dazu beitragen, den Mehrwert dieses Forschungsmodus für die Wissenschaft sichtbarer zu machen und zu stärken.
Das Feedback der Teilnehmenden zur Veranstaltung war sehr positiv. In der Evaluation der Veranstaltung bestätigten die Teilnehmenden, dass das Thema wissenschaftliche Wirkungen im Vergleich zu den gesellschaftlichen Wirkungen von transdisziplinärer bzw. transformativer Forschung gegenwärtig zu wenig beachtet wird. Die Veranstaltung im Rahmen der tdAcademy wurde als wichtige Initiative bewertet, und es bestand Interesse an weiterem Austausch zum Thema. Als ein nächster Schritt wurde einerseits die Arbeit an Definitionen und Indikatoren für Wirkungen genannt, die über die herkömmliche quantitative Impact-Messung hinausgehen. Es wurde weiter betont, dass auch die Fördermittelgeber adressiert werden sollten bei der Frage, wie wissenschaftliche Wirkungen gestärkt werden könnten.