Im September 2022 fand die erste Summer School der tdAcademy statt. 27 Masterstudierende und Doktorand*innen kamen eine Woche lang an der spanischen Costa Brava zusammen, um am Beispiel von Landnutzungskonflikten in der Region Alt Empordà die Grundlagen und Herausforderungen transdisziplinärer Forschungsprojekte kennenzulernen. Mehr über den Inhalt und die Ergebnisse der Summer School sind in unserem Kurzbericht zu finden. Die beiden Studentinnen Elsa Giffard und Katherine Tinoco, Teilnehmer*innen der Summer School, führten ein Interview mit Gemma Tejedor (ISST/UPC), die die Summer School in Zusammenarbeit mit dem ZTG-Team und ihren Kolleg*innen Jordi Segalàs, Míriam Villares und Eli Roca im Rahmen des tdAcademy Gast- und Fellowship-Programms entwickelt hat, und sprachen mit ihr über das Format und seine Pilotumsetzung.

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Elsa Giffard, Katherine Tinoco und Gemma Tejedor in Barcelona

Warum eine Summer School und nicht eine Konferenz oder Schulung? Worin liegt der Vorteil dieses einwöchigen interaktiven Formats?

Der Mehrwert entsteht auf verschiedenen Ebenen: Erstens tauchen wir eine Woche lang in die Situation, in das Problem ein, so dass die Teilnehmer*innen nicht nur rational oder wissensbasiert, sondern auch auf emotionaler Ebene dabei sind. Zweitens ist die Beziehungsebene wichtig: Zwischenmenschliche und kommunikative Fähigkeiten können während eines einwöchigen Aufenthalts viel intensiver gefördert werden. Schließlich wird die Zusammenarbeit mit den Stakeholdern erleichtert, indem sie in ihrem eigenen Umfeld aufgesucht werden.

Warum ist es aus deiner Sicht wichtig, dass Transdisziplinarität ein Teil der universitäre Berufsausbildung wird? Wie wirkt sie sich auf die verschiedenen Ebenen aus: Bachelor-, Master- und Promotionsstudium?

Meiner Einschätzung nach schafft der transdisziplinäre Ansatz eine viel partizipativere Vision von Gesellschaft. Mit den Methoden und Werkzeugen, die der transdisziplinäre Forschungsmodus bereitstellt, beginnen wir, unsere Denkweise zu strukturieren und alle Akteur*innen, Standpunkte und Faktoren zu berücksichtigen, die an einer Situation oder einem Problem beteiligt sind. Sie bietet auch eine Reihe von Instrumenten, die in verschiedenen Bereichen eingesetzt werden können, nicht nur in der Forschung, sondern auch in der beruflichen Weiterbildung - zum Beispiel bei der Organisation von Projekten, bei der Folgenabschätzung von Maßnahmen, bei der Identifizierung beteiligter Akteur*innen usw.

Welche Möglichkeiten und Hindernisse ergeben sich für transdisziplinäre Ansätze in der Konfliktlösung und der Forschung? Welche Instrumente gibt es, um Forschung demokratischer zu gestalten? Was sind Chancen? Was kann blockieren?

Es gibt zahlreiche Möglichkeiten. Transversales Wissen wird geschaffen, von verschiedenen Gruppen geteilt und von den Menschen erworben, die an der tagtäglichen transdisziplinären Praxis beteiligt sind. Transdisziplinarität ermöglicht auch die Berücksichtigung anderer Arten von verborgenem Wissen aus bisher unterbewerteten oder traditionellen Gruppen. Ein weiterer interessanter Aspekt ist, dass uns ein transdisziplinärer Ansatz die Möglichkeit gibt, die Strategien zur Generierung von drei verschiedenen Arten von Wissen zu unterscheiden: "System knowledge" bezieht sich auf analytisches und beschreibendes Wissen über den Ist-Zustand des Systems, "target knowledge" beschreibt die gewünschten zukünftigen Entwicklungen des Systems und "transformation knowledge" bezieht sich darauf, wie wir vom Ist-Zustand zu einem wünschenswerteren Zustand gelangen können. 

Ein großes Hindernis sind bestehende Machtverhältnisse. Es ist schwierig, bereits etablierte Beziehungen zwischen verschiedenen Gruppen oder innerhalb derselben Gruppe zu überwinden. Ein weiteres Problem besteht darin, dass die transdisziplinäre Forschung einen höheren Aufwand an Zeit und Mühe erfordert als die konventionelle Forschung.

Bezüglich der Summer School: Warum habt ihr diesen bestimmten Konflikt gewählt und wie habt ihr die Stakeholder ausgewählt? Kannst du uns mehr über die "Fallarchitektur" erzählen?

Die "Fallarchitektur" entstand aus der Überzeugung heraus, dass wir in einem Gebiet arbeiten wollten, in dem verschiedene Arten von Konflikten aufeinandertreffen. Außerdem war uns klar, dass einer dieser Konflikte mit Technologie zu tun haben musste, da die Organisator*innen von zwei technische Universitäten kommen. Dennoch wollten wir auch andere Konflikte ansprechen. Und wir fanden viele! Der zweite Schritt bestand darin, die Beziehungen und Kontakte in der Region abzuwägen, die wir in unserem Team hatten. Denn eine Erkenntnis aus früheren Projekten ist, dass Kooperationen viel besser funktionieren, wenn sie auf Vertrauen beruhen. Außerdem haben wir in der Auswahlphase überlegt, welche Art von Fallstudie für Studierende aus anderen Fachbereichen interessant und nützlich sein könnte. Schließlich waren wir auch daran interessiert, dass der Konflikt gesellschaftliche Implikationen mit sich bringt, um über Übertragkeitspotenziale nachdenken zu können. Oh, und wir wollten, dass die Natur an diesem Ort...spektakulär ist!

Was hast du als Organisatorin gelernt? Worauf sollte besonders geachtet werden, und was würdest du beim nächsten Mal anders machen?

Ich würde die Stakeholder gerne viel stärker einbeziehen. Sie waren bereits involviert, aber ich würde versuchen, sie noch stärker zu adressieren, so dass sich ihre Beteiligung an den Methoden und Übungen erhöht und sie stärker in die Arbeit der Gruppe einbezogen werden. Natürlich ist das kompliziert, weil jeder seine eigenen beruflichen und persönlichen Probleme und Termine hat, aber ich würde es begrüßen!

Ich würde außerdem die Studierenden stärker in die Organisation des Programms einbeziehen, damit sie ihre Sichtweise und ihre eigenen Vorschläge einbringen können. Generell finde ich bei der Organisation einer Summer School zum Thema Transdisziplinarität mehrere Punkte essenziell: die Beteiligung externer Akteure; die Durchführung von Aktivitäten auf eine experimentelle Art und Weise; die Anwesenheit für eine bestimmte Zeit an einem bestimmten Ort; und die Tatsache, dass man sich an den Ort begibt, an dem das Problem auftritt. Dieser letzte Punkt ist aus Sicht der Wissenschaftssoziologie mit dem so genannten Modus 3 der Wissensproduktion verbunden, der (durch die Verschmelzung der Modi 1 und 2) kreative Wissensumgebungen schafft, um Forschung im Anwendungskontext zu betreiben. Das heißt, sie begibt sich wie ein Labor an den Ort, an dem die Dinge geschehen.

Was waren die tatsächlichen Effekte für die Stakeholder? Wir haben den Konflikt nicht gelöst, aber hat es in irgendeiner Weise geholfen?

Die Abschlusssitzung, in der die Teilnehmer*innen ihre Ergebnisse in der Gemeindebibliothek den Schüler*innen der Sekundarschule vor Ort vorstellten, war sehr wertvoll, da sie ihnen eine Perspektive für eine mögliche zukünftige Ausbildung eröffnete, die sie sich vorher vermutlich noch nicht hätten vorstellen können. Andererseits wurden sie zum Nachdenken und zur aktiven Auseinandersetzung mit einem Thema von großer sozialer und wirtschaftlicher Relevanz angeregt und ein Bewusstsein dafür geschaffen. Die Lokalverwaltung konnte dadurch erkennen, dass das von uns behandelte Problem von großer Bedeutung für die Region ist und das Potenzial hat, junge Menschen zu mobilisieren.

Zum Abschluss fragt Gemma Elsa und Katherine nach ihren Eindrücken von der Summer School: Welche Vorteile ergeben sich für euch als Studierende aus der Einführung in die transdisziplinäre Forschung und transdisziplinäres Denken in die universitäre Ausbildung?

Wir sind überzeugt, dass Wissenschaftler*innen heutzutage nicht mehr im Alleingang Forschungsprojekte entwickeln können, insbesondere solche, die Auswirkungen auf Menschen haben, sei es auf sozialer, wirtschaftlicher und/oder ökologischer Ebene - was für die meisten Projekte gilt. Forscher*innen müssen alle Stakeholder in ihre Arbeit einbeziehen, wenn sie zuverlässige Ergebnisse erzielen wollen. Wer unsere Gesellschaft wirklich verändern will, muss eine systemische Sicht auf die Probleme haben und verstehen, dass diese nur mit einem transdisziplinären Ansatz gelöst werden können, bei dem Spezialist*inen aus verschiedenen Disziplinen Hand in Hand mit lokalen Akteur*innen arbeiten. Aus diesem Grund sollten diese Ansätze und Methoden bereits in der frühesten Phase der beruflichen Aus- und Weiterbildung künftigen Forscher*innen vermittelt werden.